Fantasy Geschichte Hinterwelt

Leseprobe

Ankunft in Hinterwelt

„Nein, nicht der Orkus!“, kreischte die hässlichste Kreatur, die ich je gesehen hatte. Am ähnlichsten schien sie noch einem Warzenschwein zu sein, das auf seinen Hinterbeinen gehen und eine mehrfach geflickte Felljacke tragen konnte. Die Haut war allerdings pechschwarz, wirkte lederartig und war von zahlreichen, rosa schimmernden Narben bedeckt.„Doch, Russt. Orkus. 1 Jahr“, erwiderte eine andere, ähnlich aussehende Kreatur mit einem boshaften Grinsen. Dann wandte sie sich mir zu. „Das blüht dir auch“, erklärte sie mir. „Aber bei dir wird es lebenslänglich.“
Mir rutschte das Herz in die Hose. Was mochte das sein, der Orkus? Welche unsagbare Hölle wartete auf mich, dass diese hässliche Kreatur, die von oben bis unten voller Narben war, so viel Angst davor hatte? Was hatte ich überhaupt getan, um das zu verdienen?
Nun, alles schön der Reihe nach.
Verdient hatte ich das nicht. Fand ich zumindest. Ich war Freitag Abend um 21 Uhr nach einer 60-Stunden-Woche vor dem Fernseher eingeschlafen. Als Software-Berater bin ich für die Einführung der ERP Lösung x.Gate zuständig. Das ist eine Software, mit der ein mittelständisches Unternehmen alle wesentlichen Prozesse abbilden kann ‑ vom Kundenmanagement im CRM über Produktion und Lagerverwaltung bis hin zum Controlling. Gerade leitete ich den Übergang auf x.Gate bei der De Profundis GmbH, bei der nichts, aber auch gar nichts nach Plan lief. Ständig tauchten zum Beispiel neue Seriennummern im System auf, von denen niemand wusste, woher sie kamen. Das Testsystem stürzte dauernd ab. Wenn ich am Morgen Kundendaten einlas, waren die Datensätze am Abend mit kryptischen Sonderzeichen gefüllt. Diese Probleme brachten mich schier um den Verstand. Entsprechend gestresst und fertig war ich auch an jenem Abend.
Meine Arbeit ist mein Leben, Privatleben habe ich keins. Meine Frau Sabine hatte mich schon vor zwei Jahren verlassen und war mit ihrem Zumba-Lehrer durchgebrannt. Unseren zweijährigen Sohn Tim hatte sie mitgenommen. Undank ist der Welten Lohn ‑ schließlich habe ich alles Erdenkliche getan, um ihr das Leben zu ermöglichen, das sie sich immer gewünscht hat… Nun, spätestens jetzt hat sie es. Einen Sohn, einen feurigen Latino und einen Volltrottel, der das Haus finanziert, in dem die drei wohnen. Aber genug davon.
Bevor ich einschlief, war im Fernseher irgendein düsterer Fantasyfilm gelaufen. Und so war es wohl kein Zufall, dass ich dann mitten in einer unwirklichen, heißen, dunklen, steinigen Lavalandschaft aufwachte. Außer dem glühenden Rot der Lavaströme um mich herum konnte ich kein Licht ausmachen: kein Mond, keine Sterne, natürlich auch keine Sonne. Ich war dann ein bisschen in der trostlosen Landschaft herumgelaufen, während es überall zischte und brodelte, bis ich beinahe einen Herzinfarkt bekam, als sich vor mir plötzlich eine Spalte mit stinkender, schwarzer Lavabrühe auftat, in die ich fast hineingefallen wäre. Und dann war eine Handvoll der scheußlichen, größenmäßig zwischen Meerschweinchen und 12‑jährigen anzusetzenden Warzenschweinkreaturen erschienen, die mich mit Metallspeeren in den Hintern piekten und mich aufforderten, mit ihnen mitzukommen.
Ich bin überhaupt kein Freund von Fantasy-Filmen und fand den Traum echt beschissen. Allerdings war das mit dem Aufwachen nicht so einfach. Ich kniff mich in den Arm, ich schlug mir ins Gesicht es half nichts. Ich spürte die Hitze von den Lavaströmen in meinem Gesicht, der Gestank nach Teer biss mir in die Nase, meine Zehen schmerzten von den scharfkantigen Steinen. Hausschuhe sind für solche Arten der Wanderung nicht geeignet ‑ genauso wenig wie mein bester, schwarzer Anzug, den ich aus Faulheit am Abend nicht ausgezogen hatte, da ich ihn sowieso in die Reinigung hatte bringen wollen.
Nach gefühlten fünf Stunden blieben die schwarzen Kreaturen schließlich stehen und mir fiel auf, dass wir uns vor einem gewaltigen Bauwerk aus schwarzem Lavagestein befanden. Die Anlage war jedoch so mit den Felsen verschmolzen, dass sich das Mauerwerk kaum davon abhob. Eine Öffnung erschien keine zwei Meter rechts von uns. Die Warzenschweine pieksten mich wieder, diesmal aber in die Rippen. Ich betrat eine Eingangshalle, die von einem großen Lavabecken in ihrer Mitte in rotes Licht getaucht wurde. Ich wurde vorwärts getrieben, hinein in einen finsteren, mit trüben Funzeln notdüftig beleuchteten Gang. Es ging eine Vielzahl von Treppen hinauf und hinunter, bis ich schließlich in einer Art Zimmer stand, in dem die hässliche Kreatur namens Russt jämmerlich „Nein, nicht der Orkus!“, kreischte und mir alsbald das Urteil ‚lebenslänglich‘ verkündet wurde.
Ich hielt mir die Ohren zu und kniff mich erneut in den Arm. „Warum macht ihr das?“, fragte ein besonders kleines Exemplar und staunte mit großen Augen zu mir herauf.
„Was?“, fragte ich unfreundlich.
„Das“, sagte es und kniff mich ins Bein.
„Au!“, entfuhr es mir.
„Das macht ihr alle, wenn ihr kommt“, erklärte es.
„Lass ihn in Ruhe, Gorm ‑ der wird nicht gefoltert“, schaltete sich ein anderer Warzenschweinverschnitt ein. „Nauros will ihn intakt!“
„Nauros!“, hauchte das kleine Wesen ehrfürchtig und blickte mich voller Respekt an. Dann bekam ich wieder einen Speer in den Rücken.
Einige Zeit lang trottete ich hinter dem streng bewachten Russt her. Gut zu wissen, dass sie mich nicht foltern wollten. Wobei… wenn sie das täten, würde ich vielleicht aufwachen. Oder nicht?

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