Ola Okapi und die Wunder des Internet
Das Leben von Plüschtier Ola Okapi ist ein einziger Alptraum. Der kleine Luca ignoriert sie und die anderen Plüschtiere sind gemein. Da macht ausgerechnet Lucas 13-jährige Schwester einen Social Media Star aus ihr …
„Ich habe Angst vor Kindern“, gestand mir Kalle Killerwal.
Ich war damals erst ein paar Tage in Beates Spielzeugladen und hatte noch wenig Ahnung von der Welt. „Warum?“, fragte ich beunruhigt. Wenn sich sogar der große Kalle vor ihnen fürchtete …
Der Orca seufzte. „Ich bin schon lange hier und habe so viel gesehen … Leo Löwe, zum Beispiel, der da unten an der Tür sitzt. Warum, glaubst du, ist sein Fell so struppig und zerzaust? Weil er von einem Kind gefoltert wurde! Und ab und zu kommen diese kleinen Schreihälse hierher und schleppen Unseresgleichen mit sich. Und wie oft fehlt dann ein Auge oder gar ein Arm oder Bein …“
„So ein Unsinn“, mischte sich Cora Collie ein. „Ja, sie können manchmal etwas grob sein, aber dafür lieben sie dich abgöttisch. Du schläfst in ihrem Bett, du wirst geknuddelt und gedrückt – glaub mir, Ola, das ist es wert.“
Coras Worte beruhigten mich ein wenig. Dennoch wartete ich voller Unruhe auf den Tag, an dem ich verkauft werden würde. Doch ich musste mich lange gedulden.
Fast jeden Tag, wenn der Laden geöffnet war, nahm ein Kind mich in seine Arme und drückte mich fest an sich, aber letztendlich entschied es sich dann doch für Benny Bär oder Kiki Kaninchen.
Bis mich eines Tages Beate, die Chefin höchstselbst aus dem Regal nahm.
„Du wurdest über den Onlineshop gekauft“, klärte sie mich auf. „Du wirst jetzt einmal quer durch ganz Deutschland zu deiner neuen Bestimmung reisen.“
„Ich habe Angst“, gestand ich.
Doch Beate trällerte nur fröhlich ein Liedchen und sperrte mich in einen dunklen Karton.
„Keine Sorge“, tröstete mich ein Spielzeugauto aus der Nachbarkiste. „Du wirst bestimmt zu einem ganz lieben Kind kommen.“
„Danke.“ Seine netten Worte trösteten mich etwas.
Dann wurde mein Paket gepackt und gerüttelt und geschüttelt, was mich ganz schläfrig machte, bis mir schließlich die Augen zufielen und ich in einen tiefen Schlaf sank.
„Danke, Tante Lisa.“
„Bitte, Luca.“
Ich öffnete die Augen und sah einen Jungen! Ein herzallerliebstes Kind von vielleicht zehn Jahren, blond gelockt, mit blauen Augen und einem neugierigen Ausdruck in den Augen.
„Weißt du, was das für ein Tier ist?“, fragte Frau mit Brille lächelnd.
„Ein Okapi“, sagte er brav.
Er wusste, was ich war! Im Laden war Beate öfter danach gefragt worden, was ich wohl für eine Kreatur sein mochte. Doch Luca wusste es! Ich liebte ihn allein dafür.
Den ganzen Tag saß ich auf dem kleinen Tisch vor dem Fernseher und wurde so Zeuge von Kaffeekränzchen und Gesellschaftsspielen mit Luca, seiner Mama, seiner vielleicht dreizehn Jahre alten Schwester Mia und Tante Lisa, die zu Besuch gekommen war und mich als Geschenk mitgebracht hatte. Weder Kalle Killerwals noch Cora Collies Aussagen trafen zu. Weder wurde ich gefoltert noch gedrückt – Luca ignorierte mich einfach den ganzen Tag. Ich wusste nicht so recht, ob ich mich darüber freuen sollte oder nicht.
Später packte Luca mich am Kopf und brachte mich in sein Zimmer, das gepflastert war mit großflächigen, dunklen Postern in Science-Fiction-Manier. Achtlos warf er mich auf ein Sofa, auf dem schon zahlreiche weitere Plüschtiere herumlümmelten, legte sich mit einer kleinen Spieleconsole ins Bett und ignorierte uns völlig, bis seine Mutter hereinkam, ihm die Konsole wegnahm, ein schräges Lied sang und uns allein ließ.
Lucas Atemzüge wurden tief und gleichmäßig – und wie bei Beate, erwachten auch hier die Spielzeuge zum Leben. Plastikritter kämpften in den Regalen, Autos jagten wild hupend über den Teppichboden. Und die anderen Plüschtiere bildeten einen Kreis um mich und starrten mich an.
„Was ist das denn!“, rief ein großer, schwarzer Bär aus.
„Ein Zebra?“, vermutete eine Schlange.
„Nie im Leben“, rief ein Schaf.
„Ich bin Ola Okapi“, stellte ich mich schüchtern vor.
„Was bist du?“, hakte der Bär nach. „Oka was?“
„Ganz klar ein Fantasiewesen. So etwas kann es überhaupt nicht geben“, stellte ein gelber Drache fest.
„Ich bin eine Kurzhalsgiraffe aus Afrika“, erklärte ich.
„Was sagt es?“ Der Bär schüttelte den Kopf.
„Giraffe?“, fragte das Schaf.
„Unmöglich. Wo sind deine Flecken?“ Ein Papagei musterte mich kritisch.
„Dein Hals ist zu kurz für eine Giraffe“, zischte die Schlange.
„Ich bin eine Kurzhalsgiraffe“, erklärte ich noch einmal kläglich.
„Eine missgebildete Giraffe, also“, stellte das Schaf fest.
„Eine Missgeburt“, rief der Bär.
„Ich denke, es lügt. Das ist auf jeden Fall keine Giraffe.“
„Abscheulich.“
„Unverschämt.“
Sie riefen alle durcheinander. Noch nie hatte ich mich so schrecklich minderwertig gefühlt. Dass die anderen Tiere mich hassen könnten – damit hatte ich nicht gerechnet.
„Weißt du, wir haben da eine Methode, wie wir mit Lügnern umgehen“, zischte die Schlange.
„Genau“, bekräftigte der Bär.
„Ich lüge nicht. Bitte“, murmelte ich.
„Da! Möge der Kleber dir die Zunge verkleben!“ Der Bär leerte eine Flasche mit einer klebrigen Flüssigkeit über mir aus. Direkt in die Augen! Ich war blind! Und es juckte ganz schrecklich!Verschämt versuchte ich, mich mit meiner langen, blauen Zunge zu säubern.
Auf einmal herrschte Stille.
„Igitt!“, rief die Schlange.
„Es leckt mit der Zunge seine Augen!“, kreischte das Schaf „Wie eklig!“
Jetzt machten sie sich nicht mehr über mich lustig. Dafür wandten sie sich ab von mir.
Und mir blieb nichts übrig, als sitzen zu bleiben und zu weinen. Immerhin schwemmten meine Tränen die Flüssigkeit aus meinen Augen.
Traurig starrte ich auf meine Hufe. Warum hatte ich nicht zwei Hände wie Anton Affe oder Emil Eichhörnchen. Oder Flügel wie Holger Hahn oder Klara Kolibri. Dann könnte ich jetzt weg fliegen und müsste nicht hier sitzen, einsam und beschämt.
„Luca, Zeit zum Aufstehen!“ Die Mutter öffnete den Rollladen, gleißendes Licht blendet mich. „Zeit für die Schule! Du hast ja deine Tasche nicht gepackt! Da liegt ja noch alles auf dem Sofa! Wie oft habe ich es dir gesagt! Und was ist das!“
Sie starrte mich an.
Ich bin ein Okapi, dachte ich verschämt. Luca hatte es wenigstens gewusst.
„Der Kleber ist ausgelaufen – direkt auf das Geschenk von Tante Lisa!“
Luca murmelte etwas, das nach „mir doch egal“ klang.
„Jetzt aber aufstehen, Luca! Und du, Okapi, kommst mit mir mit.“ Sie packte mich und brachte mich kopfschüttelnd in einen gefliesten Raum. „Das schöne Geschenk. Hoffentlich geht das wieder raus!“
Und ehe ich es mich versah, steckte sie mich zusammen mit einer Variation verschiedener Stofffetzen in einen weißen Kasten mit einer runden Öffnung. Ich hatte nicht einmal Zeit, mich zu wundern, da drang Wasser ein! Bald war ich pitschnass! Gut, dass ich ein Stofftier bin, sonst wäre ich bestimmt ertrunken! Das Wasser durchtränkte mich und bald hatte ich zusätzlich auch nach Waschpulver auf Augen, Ohren, Zunge. Doch das Schlimmste stand mir noch bevor: plötzlich begann sich alles im Kreis zu drehen, schnell und immer schneller! Bald war mir schlecht und schwindelig und ich war sicher, dass ich Beine, Ohren und Schwanz verlieren würde.
Doch irgendwann hörte die Maschine auf, mich zu quälen.
Benommen blieb ich liegen, bis Lucas Mutter mich schließlich herausnahm und kritisch betrachtete. „Der Kleber scheint nicht herausgegangen zu sein. Mal sehen, wie du aussiehst, wenn du trocken bist!“ Und sie setzte mich auf den Folterkasten und ließ mich dort den ganzen Tag und die ganze Nacht.
Ich fühlte mich unglaublich einsam und traurig. Wie sehr ich doch den Spielzeugladen vermisste! Da gab es keine Menschen mit komischen Kästen, sondern nur nette Plüschtiere, die nicht im Traum daran gedacht hätten, mich zu verkleben.
Am nächsten Tag kam endlich die Mutter zurück, sah mich und schüttelte den Kopf. „Das wird nichts mehr mit dir.“ Und sie packte mich und brachte mich zurück in Lucas Zimmer.
„Na, wurde dir der Kopf gewaschen“, lachte der Bär hämisch.
Nicht auf das Sofa, hoffte ich – und meine Bitte wurde erhört. Die Mutter stopfte mich achtlos in eine Holzkiste und schloss den Deckel.
„Willkommen in unserer Welt.“ Die Traurigkeit dieser Stimme ging mir durch Mark und Bein. „Willkommen in der Kiste der verstoßenen Spielsachen.“ Sie stammte von einem einarmigen Roboter.
Hoffentlich übergießen sie mich hier nicht mit Kleber!, hoffte ich. Das taten sie auch nicht. Meine neuen Hausgenossen waren allerdings ziemlich schweigsam und traurig. Da gab es einen Affen ohne Beine, ein Puzzle mit fehlenden Teilen, ein Auto mit nur drei Rädern, einen schlappen Ball, einen kleinen, dreibeinigen Hund und vieles mehr.
In der Nacht hörte ich die anderen Plüschtiere draußen lachen und spielen, aber von den Anderen wollte niemand auch nur versuchen, den Deckel zu öffnen und allein war ich zu klein, um ihn zu erreichen und anzuheben.
„Keiner mag uns“, erklärte der Roboter traurig. „Sicher werfen sie uns bald in den Müll. Dann ist es aus mit uns.“
Das Auto hupte leise und der Affe seufzte tief. Ich wusste auch nicht, was ich sagen sollte, und versank in großer Traurigkeit. Müde bettete ich den Kopf auf den schlappen Ball. Dabei stieß ich den kleinen, dreibeinigen Hund, der erschrocken aufheulte.
„Entschuldige“, sagte ich zu ihm. „Ich wollte dir nicht wehtun!“
Da schlabberte er mir mit seiner kleinen rauen Zunge über meine Schnauze und kuschelte sich an mich, obwohl ich doch so schrecklich verklebt war, und ich war ihm unglaublich dankbar dafür. Der Kleine wollte oder konnte nicht mit mir sprechen, aber ihm unendlich dankbar für seine Zuneigung und seine Liebe und taufte ihn Knuddel. Gemeinsam war unser schweres Los inmitten einer unendlich traurigen und hoffnungslosen Schar von Kuscheltieren, die ständig vom Mülleimer redete, zumindest etwas erträglicher.
Ein paar Tage später öffnete sich die Kiste und ein Mädchen blickte zu uns herein – Mia, Lucas Schwester. Sie musterte mich kritisch. „Dich hatte ich aber anders in Erinnerung. Aber was soll‘s.“ Sie packte mich am Bein und trug mich aus dem Zimmer nach draußen.
Ich wusste nicht so recht, was ich davon halten sollte. Bisher war nichts in diesem Haus angenehm gewesen, von Knuddel einmal abgesehen. Und ich sollte auch diesmal Recht behalten. Denn Mia schleppte mich nach draußen! Mein Fell sträubte sich vor Schreck! Wie gut erinnerte ich mich an die schweren Tropfen, die immer wieder gegen das Fenster im Spielzeugladen geplatscht waren und an die unbarmherzige, heiße Sonne, die uns an anderen Tagen beinahe zum Kochen brachte! Und jetzt war ich hier im Draußen! Und nicht nur das, Mia setzte mich auch noch auf den Boden inmitten feuchter, grüner Halme! Nein! Sie würde mich hier allein zurücklassen!
Doch statt zu gehen, kniete sie sich neben mich hin. „Sieht doch nach Dschungel aus“, meinte sie, zog ihr Mobiltelefon aus der Tasche und hantierte damit vor meiner Nase herum. „Nicht schlecht“, nickte sie. „Nicht schlecht.“
Dann packte sie mich am Kopf und brachte mich zurück nach drinnen, wo sie mich in ihr eigenes Zimmer brachte und auf die Sofarückenlehne setzt. Ihre Wände waren gepflastert mit Postern von halb nackten Menschen, die böse auf mich herunterstarrten. So kam es mir jedenfalls vor. Dafür gab es keine anderen Plüschtiere. Das erleichterte mich etwas, musste ich doch an den Kleber denken. Doch der kleine Knuddel fehlte mir schrecklich.
Später kam noch ein anderes Mädchen ins Zimmer, das ich noch nicht kannte. Beide setzten sich zu mir und starrten auf ihre Mobiltelefone.
„Emma! Schon zwanzig Likes!“, kreischte Mia auf. Und sie zeigte ihrer Freundin ein Foto, das mir das Fell zu Berge stehen ließ – denn es handelte sich um ein Foto von mir und zeigt mich, wie ich Draußen auf den grünen Halmen saß!
„Das war eine super Idee für das Schulprojekt“, meinte Emma bewundernd. „Digital auf die Zerstörung des Regenwaldes hinweisen und auf den eingeschränkten Lebensraum der Okapis … Und das Vieh guckt so traurig. Super. Wow, sogar Flo hat es geliked!“
„Mega!“
Schließlich ging Emma und irgendwann begab sich auch Mia ins Bett, ihr Smartphone fest an die Brust gedrückt.
Ich verbrachte die Nacht und den nächsten Tag an Ort und Stelle. Langsam gewöhnte ich mich an die starren Menschen an den Wänden. Aber ich fühlte mich trotzdem allein. Wenn nur Knuddel hier bei mir wäre …
„Mama, ich habe eine Eins bekommen!“ Mias Gekreische war im ganzen Haus zu hören. „Die beste Projektarbeit, da ich es geschafft habe, andere Aufzurütteln und für bedrohte Tiere in Afrika zu begeistern!“ Wenig später platzte sie in ihr Zimmer, warf sich auf das Sofa, zückte ihr Mobiltelefon.
„Hundert Likes! Das ist so geil! Ich werd ein Star! Ich werde berühmt!“ Sie drehte sich um und musterte mich misstrauisch. „So viel machst du allerdings nicht her. Ich glaube …“
Sie wandte sich wieder ihrem Telefon zu. Neugierig beobachtete ich sie, wie sie durch verschiedene Ansichten und Bilder wischte, bei ein anderes Okapi auf dem Bildschirm erschien! Groß, stattlich, schön! Wie großartig wäre es, wenn es hierher kommen würde, zu mir …
Da wischte Mia weiter und das Bild verschwand. Später brachte sie mich noch einmal nach draußen und setzte mich in einen Busch hinein. „Noch besser“, lächelte sie und klaubte danach die Blätter aus meinem Fell. „Das wird der Hit.“
Und drinnen kreischte sie wenig später: „Fünfzig Likes in einer Stunde! Und zwar von Flo UND Marc!“
Am nächsten Tag stellte ihre Mutter ein großes Paket in ihr Zimmer. Mia kreischte, als sie es sah, kreischte, als sie es geöffnet hatte, und kreischte, als sie den Inhalt herausnahm und hochhob – und mir stockte der Atem. Denn sie hielt ein weiteres Okapi in den Händen!
Und er sah mich! Und er starrte mich an. Und er sagte: „Hallo, ich bin Olle. Wer bist du?“
„Oh …“ Mehr brachte ich nicht heraus.
„Oh. Schöner Name.“ Er lächelte.
Und meine gestreiften Beine zitterten unkontrolliert und ich hoffte stark, dass er es nicht sehen konnte.
Leider konnten wir uns nicht länger unterhalten, denn Emma kam, sah Olle und kreischte und dann verschwanden sie mehrere Stunden lang mit ihm und ich bangte und hoffte, dass ich ihn wiedersehen würde.
„Das war ja was!“ Olle schüttelte sich, als Mia ihn zu später Stunde auf den Schreibtisch gestellt hatte und ins Bett gegangen war.
„Was ist passiert?“, fragte ich bang.
„Sie haben Fotos im Garten von mir gemacht. In allen möglichen Positionen. Stundenlang!“
„Hm“, machte ich. Es war nur natürlich, dass sie Olle bevorzugten. Sein Fell glänzte wunderschön und war längst nicht so zerzaust und verklebt wie meins. Und dazu war er auch noch ein Stück größer als ich.
„Ganz schön anstrengend.“ Zufrieden lümmelte er auf der Tischplatte. „Und was ist hier so geboten?“
„Was meinst du?“
„Gibt es keine anderen Plüschtiere? Hier herrscht ja tote Hose.“
Ich schlug die Augen nieder.
„Nein?“
„Bei Luca“, murmelte ich.
„Tutuuut!“ Ich hörte durch die Wand, wie sich die Autos ein Rennen lieferten.
„Dann nichts wie hin“, lachte Olle.
„Nein.“
„Aber warum denn nicht?“
„Die anderen Tiere sind gemein.“
„Warum?“, fragte er mitfühlend.
„Sie finden, ich sehe seltsam aus.“
„So?“ Er schüttelte verwundert den Kopf.
„Und sie haben mich mit Kleber übergossen“, schluchzte ich. „Deswegen ist mein Fell …“ Ich konnte nicht mehr weiterreden.
„Das war aber nicht nett!“ Ehe ich es mich versah, sprang Olle vom Schreibtisch auf das Sofa und setzte sich neben mich!
„Ich verstehe nicht, wie sie so etwas sagen können!“, meinte er. „Du bist das süßeste Okapi-Mädchen, das ich je gesehen habe.“
Ich spürte eine beschämende Wärme in mir aufsteigen.
„Weißt du was?“, meinte Olle. „Wir gehen jetzt zu den anderen Spielzeugen. Vielleicht finden sie uns seltsam, aber letztendlich sind wir ihnen doch sehr ähnlich. In unserem Körper steckt die gleiche Füllwatte. Wir werden uns nicht vor ihnen verstecken.“
„Sie sind wirklich gemein“, flüsterte ich.
„Kopf hoch“, lächelte er. „Ich bin bei dir. Sie können dir nichts tun.“
Also folgte ich ihm widerstrebend aus Mias Zimmer hinüber in das des schlafenden Lukas. Die Autos fuhren wieder einmal Rennen und flitzten durch das Zimmer. Ein kleiner blauer Wagen hätte uns dabei fast überfahren. Im letzten Moment bekam er noch die Kurve und donnerte lautstark gegen die Tür.
Alle zuckten zusammen und verstummten einen Moment. Doch wie immer hatten die Menschen nichts mitbekommen.
Dafür sahen die Spielzeuge Olle und mich. Einen Moment lang herrschte Schweigen.
„Wen haben wir denn da?“, knurrte der Bär.
„Unseren Internet-Star!“, hauchte das Schaf verzückt.
„Wir haben dir beim Fotoshooting im Garten zugesehen“, zischte die Schlange. „Höchst professionell!“
„Du bewegst dich so natürlich vor der Kamera!“, schwärmte ein Dinosauerier.
„Mia kann sich so unfassbar glücklich schätzen, dich zu haben!“
Ich konnte diesen Gesinnungswechsel kaum fassen und wusste überhaupt nicht, was ich sagen sollte – bis die Spielzeuge vom Sofa sprangen und Olle umringten.
„Dein Fell ist so weich.“
„Diese Streifen sind so schick.“
„Und du bist der Repräsentant von Afrika.“
Ich stand am Rand, während Olle ganz verwundert die Komplimente entgegen nahm. „Aber … Das war doch nicht mein Verdienst“, meinte er verwirrt.
„Du bist der neue Star“, lachten sie.
Ich sollte mich freuen. Schließlich ignorierten sie mich jetzt und übergossen mich nicht mit klebrigem Zeug. Trotzdem fühlte mich furchtbar und machte mich auf, zurück in Mias Zimmer.
„Ola, wo willst du hin?“, rief Olle.
Und wieder einmal spürte ich die Blicke aller auf mir.
„Ah, das“, meinte der Bär. „Lass es. Es ist widerlich.“
„Es hat seine Zunge in sein Auge gesteckt.“
Da konnte ich es nicht mehr aushalten. So schnell ich konnte, lief ich los, zurück in Mias Zimmer. Und während ich rannte, glaubte ich, ein kleines trauriges Seufzen aus der Kiste der kaputten Spielzeuge zu hören, das mir fast das Herz brach.
In Mias Zimmer kletterte ich wieder mühsam auf die Lehne ihres Sofas und schämte mich ganz furchtbar.
„Ola!“
In der Tür stand Olle.
Ich wandte ihm meine Kehrseite zu. Ich wollte ihn nicht sehen. Ich wollte niemanden sehen.
„Ola!“
Ich zuckte zusammen, als er auf einmal neben mir stand. „Es tut mir leid, Ola.“
Das war einfach zu viel. „Was tust du hier!“, fuhr ich ihn an. „Warum gehst du nicht zurück zu den anderen?“
„Was soll ich denn dort, wenn sie so gemein zu dir sind?“, fragte er. „Wir sind von der selben Art, Ola. Wir gehören zusammen. Und die anderen können uns gestohlen bleiben.“
Und er fuhr mir mit der Zunge ganz sanft über mein Fell und tröstete mich und ich fühlte mich ihm unglaublich nahe.
Die halbe Nacht und den halben Tag verbrachten wir gemeinsam auf der Sofalehne. Olle war so unglaublich lieb zu mir, dass ich es kaum fassen konnte. Doch unser Frieden wurde je gestört, als am frühen Nachmittag lautes Geheule durch das ganze Haus schallte. Es stammte von Mia, die die Treppe hinauf zu uns ins Zimmer stampfte und sich laut schluchzend auf ihr Bett warf.
„Aber Kind, was ist denn los?“, fragte die Mutter, die ihr gefolgt war.
„Sie haben mich gedisst“, schluchzte Mia. „Weil ich das neue Okapi geshootet habe.“
„Was? Ich verstehe kein Wort“, meinte die Mutter ratlos.
„Die Bilder mit dem alten Okapi fanden sie schön“, heulte das Mädchen. „Sie meinten, es wäre authentisch. Aber das Neue, das ist viel zu kommerziell. Deswegen haben sie mich gedisst.“
„Und was heißt das?“, fragte die Mutter besorgt.
„Sie folgen mir nicht mehr“, schluchzte Mia.
„Ich verstehe dich wirklich nicht“, meinte die Mutter und verschwand kopfschüttelnd.
Irgendwann stand Mia auf. Ihre Augen waren ganz rot und ihr Gesicht aufgequollen. Sie machte mir Angst. Und es wurde auch nicht besser, als sie uns ansah und stampfenden Schrittes auf uns zutrat. Ich war mir sicher, sie würde mir den Kopf abreißen. Doch statt dessen packte sie den armen Olle und schleuderte ihn wütend quer durch das Zimmer! Und ich konnte ihm nicht helfen, weil sie sich danach neben mich auf das Sofa setzte, um zahlreiche kurze Videos anzusehen.
Und sie erschreckte mich zu Tode, als sie plötzlich aufsprang und schrie: „Das ist es!“ und mich packte.
Oh nein!, dachte ich entsetzt. Jetzt würde sie mich bestimmt in den Müll werfen!
Doch stattdessen krabbelte sie unter den Tisch und zog auch den leicht angestaubten Olle hervor. Er nieste unglücklich.
„Puh.“ Mia rümpfte die Nase, um ihn kräftig zu schütteln.
„Mir ist schlecht“, jammerte er, doch sie kannte keine Gnade, sondern schleppte uns nach draußen in den Garten und da ahnte ich, was sie vorhatte.
„Sie will uns aussetzen!“, rief ich entsetzt. „Sie wird uns hier lassen, in der Kälte, in der Hitze, im Wasser …“
„Ich glaube nicht“, meinte Olle, der sich langsam berappelte. „Ich glaube, sie plant ein neues Fotoshooting!“
Und er hatte recht!
Mia setzte uns auf das feuchte Gras. Den halben Nachmittag fotografierte sie uns in merkwürdigen Positionen, die wir so von selbst nie eingenommen hätten. Aber sie war die Künstlerin, sie wusste bestimmt, was sie da tat.
Irgendwann kam Emma dazu und die beiden kicherten die ganze Zeit und machten weitere Fotos von uns.
„Ein Like!“, kreischte Mia wenig später auf.
„Und da, noch eins!“, lachte Emma. „Die Idee mit dem Liebespaar war spitze!“
Ich hatte trotzdem Angst, dass sie uns hier allein lassen würden.
Doch schließlich packte sie uns, trug uns zurück ins Haus und setzte uns zurück auf das Sofa.
„Hundert Likes“, lächelte Mia glücklich vor dem Schlafen gehen und ihre Mutter schüttelte nur den Kopf.
In der Nacht saßen Olle und ich auf der Sofalehne und unterhielten uns leise über den denkwürdigen Tag.
„Hey!“, ertönte eine Stimme.
Wir blickten nach unten und sahen zwei Plüschtiere von nebenan.
„Wir wollten fragen, ob ihr zu uns rüber kommen wollt“, meinte das Schaf.
„Ja, wir möchten eine Party geben. Euch zu Ehren!“, lächelte die Schlange.
„Nach allem, was letzte Nacht passiert ist?“, fragte Olle und runzelte unzufrieden die Stirn.
„Jeder macht mal Fehler“, seufzte das Schaf.
„Also …“ Olle wirkte nicht überzeugt.
Da fasste ich einen Plan. „Komm, lass uns gehen, Olle“, sagte ich.
„Was?“ Er musterte mich zweifelnd. „Bist du sicher?“
„Das bin ich.“
„Aber …“
„Komm!“
Entschlossen krabbelte ich vom Sofa und Olle folgte mir zögernd.
„Willkommen!“, begrüßte uns der Bär an der Tür zu Lukas Zimmer. „Ich bin Bruno. Hundert Likes mit einem Bild! Das ist ziemlich gut. Ich denke …“
„Danke“, sagte ich knapp und marschierte an ihn vorbei direkt zur Kiste der kaputten Spielzeuge. „Ich möchte die Kiste öffnen“, sagte ich.
Einen Moment herrschte Schweigen.
„Warum?“, fragte Bruno verdutzt.
„Weil die Spielzeuge in dieser Kiste mir näher stehen als ihr“, stellte ich fest.
„Also das …“ Bruno schüttelte den Kopf und wandte sich ab. „Undankbare Augenschlecker“, murmelte er. „Ich glaube …“
„Hier.“ Olle schob einen kleinen roten Hocker aus Holz nahe an die Kiste heran und sprang hinauf. „Jetzt müssen wir nur irgendwie den Deckel öffnen.
„Warte, ich helfe dir!“ Zu meiner größten Überraschung sagte das der Dinosaurier. Er stellte sich neben Olle auf die Hinterbeine. Mit seinem langen Hals kam er tatsächlich bis zum Deckel! Er drückte die Stirn dagegen.
„Es bewegt sich!“, rief ich glücklich. Doch der Deckel war schwer, und der Dinosaurier keuchte und schnaubte, dass mir ganz Angst und bange um ihn wurde.
„Warte, ich helfe dir!“ Das Schaf stellte sich neben ihn. Allerdings war es ziemlich klein und reichte bei weitem nicht an den Rand heran. „Olle, wenn du auf meinen Rücken kletterst, könnte es funktionieren“, lächelte es. „Keine Sorge, ich halte das aus, du wiegst doch sicher nicht viel.“
Olle nickte und gehorchte und mit gemeinsamen Kräften gelang es ihm und den Dinosaurier, den Deckel zu öffnen!
„Hurra!“, riefen die Spielzeuge. „Wir haben es geschafft!“
Ich hörte den kleinen Knuddel in der Kiste aufgeregt blaffen. Tränen der Rührung schossen mir in die Augen.
„Und jetzt?“, fragte der Dino ratlos. „Sie sind tief unten. Sie kommen nicht zu uns hoch.“
Da ertönte ein merkwürdiges Rumoren.
„Die verstoßenen Spielzeuge bilden eine Pyramide“, informierte mich Olle und lachte – und wenig später hopste der kleine Knuddel auf den Kopf des Dino, von da aus auf das Schaf und dann direkt vor meine Beine!
„Knuddel!“, rief ich lachend und schlabberte ihm durch das Fell und auch er schleckte glücklich über meine Nase.
„Und die anderen?“, fragte ich.
„Lass nur“, tutete das kaputte Auto von Innen. „Lasst und einfach hier liegen in unserem Schmerz …“
„Wir warten auf den Mülleimer“, seufzte der Roboter.
„Nein!“, rief ich energisch. „Nein, auf keinen Fall!“ Doch ich wusste nicht, wie wir ihnen helfen sollten …
„Hey!“
Ich blickte auf und sah einen Plüschaffen mit langen Armen. „Ich bin Giddy Gibbon. Ich glaube, ich weiß, wie wir das machen können.“
Elegant turnte er auf Hocker, Schaf, Dino und Olle, hielt sich mit den Füßen am Kistenrand fest und tauchte kopfüber hinein! Wenig später hielt er das kleine kaputte Auto in den Händen, das verwundert tutete. „Jemand muss es mir abnehmen!“, rief er.
Doch Olle, Dino und das Schaf hatten keine Hände frei.
„Gib ihn mir!“, knurrte Bruno Bär, kletterte eben fasst auf den Hocker und streckte die Arme nach oben.
Giddy Gibbon gab ihm den Wagen, der Bär nahm ihn in Empfang und reichte ihn weiter nach unten an ein Känguru – und innerhalb von wenigen Minuten standen alle kaputten Spielzeuge, die sich bewegen konnten, auf dem Teppichboden in Lukas Zimmer.
Das war eine Party! Wir hatten viel Spaß, lachten, feierten mit den Autos, die durch das Zimmer schossen, freuten uns über die Kunststücke der Flugzeuge und die Turniere der Miniritter. Im Morgengrauen halfen wir den Spielzeugen zurück in die Kiste.
„Moment“, meinte Olle. Unter seiner Anweisung steckten wir noch mehrere Bücher und Spiele in die Kiste, damit die Spielzeuge zukünftig selbst hinaus klettern konnten. Gemeinsam schoben wir die Kiste schließlich noch in die Nähe von Schreibtisch und Papierkorb, um zukünftig weniger Mühe dabei zu haben, den Deckel zu heben.
Alle Autos und Plüschtiere verschwanden nach und nach in ihrem Zuhause, nur der kleine Knuddel und ich, wir konnten uns nicht voneinander trennen.
„Er muss aber in die Kiste“, knurrte Bruno.
„Warum?“, fragte ich mit Tränen in den Augen. „Ihn wird doch niemand vermissen …“
„Es gehört sich aber so.“ Bruno runzelte die Stirn.
„Ola hat Recht“, meinte Olle. „Niemand wird Knuddel vermissen. Wir nehmen ihn mit in unser Zimmer und verstecken ihn hinter dem Sofa.“
„Das geht nicht.“ Bruno Bär stellte sich in seiner vollen Größe vor uns hin. „Das ist falsch. Und das werde ich nicht zulassen. Los, Spielzeuge, helft mir!“
„Lass sie doch in Ruhe, Bruno“, meinte Giddy Gibbon.
„Ihn wird niemand wirklich vermissen“, meinte auch das Schaf, hopste auf das Sofa und rollte sich zusammen. „Ich bin müde.“
Da trabte Olle einfach an Bruno vorbei, ich setzte Knuddel auf meinen Rücken und folgte ihm und die anderen Spielzeuge sahen uns nur zu und winkten höchstens träge zum Abschied.
So verschwanden Olle, Knuddel und ich in Mias Zimmer und kuschelten uns auf der Sofalehne zusammen. Als Mia erwachte, halfen wir Knuddel schnell in eine Sofaritze, wo ihn kein Mensch so einfach finden konnte.
Und so begann unser neues Leben. Mia interessierte sich nicht mehr lange für uns, bald saßen wir die meiste Zeit friedlich zu dritt auf unserer Sofalehne und genossen die Ruhe, wenn sie in der Schule war.
Nachts halfen wir den kaputten Spielzeugen nach draußen. Ab und zu beteiligten sich andere Plüschtiere, doch wir schafften das auch allein. Wir verstanden uns besonders gut mit Schlingel dem Schaf und Giddy dem Gibbon und ignorierten Bruno Bär, so gut es eben ging.
Wir waren in unserem neuen Leben angekommen. Und auch, wenn nicht immer alles reibungslos lief, wusste wir, dass wir zusammen zu Hause waren.
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