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Das Pferd am Strand von Miriam Malik

Die Schimmelstute schnaubte. Ihre Ohren waren aufmerksam auf die junge Frau vor ihr gerichtet, die mit sanfter, leiser Stimme auf sie einredete und schließlich die Hand ausstreckte, um die Nüstern zu berühren.
Pferd und Mensch verstanden sich blind, verschmolzen zu einer Einheit. Gebannt und fast ein wenig ehrfürchtig beobachtete ich die beiden.
„Hey! Halt sie fest!“ Ein etwa dreißigjährige Mann kam den schmalen Pfad herabgeeilt, der vom Dorf zum Strand führte. In seinen Händen hielt er ein Halfter.
Die Stute schrak zusammen und machte einen Satz zur Seite. Beinahe hätte es dabei die junge Frau umgestoßen. Die zuckte ebenfalls. Dann seufzte sie, redete weiter auf das Pferd ein. Die Stute bewegte heftig ihren Kopf auf und ab. Dann trabte sie los, den Strand entlang, weg von dem Mann mit dem Halfter.
Der blieb stehen. „Hey! Beauty!“ Das Pferd trabte unbeeindruckt weiter.
„Verdammtes Mistvieh. Wenn ich es erwische… Warum haben Sie es nicht aufgehalten?“ brüllte der Fremde die junge Frau an.
„Wie hätte ich das tun sollen?“ fragte sie mit ihrer leisen Stimme.

Ich beschloss, einzugreifen. Der Mann mit dem Halfter schien mir sehr aggressiv zu sein.
„Gibt es ein Problem?“ fragte ich, während ich ruhigen Schrittes auf die beiden zutrat.
„Sie hat das Pferd weggejagt!“ rief der Mann aufgeregt und warf der Frau einen bösen Blick zu.
„Das habe ich nicht“, erwiderte sie leise.
„Das Pferd ist wohl eher vor Ihnen davongelaufen“, erwidere ich ruhig. „Und das mit gutem Grund. Sie haben es mit Ihrem Blick fixiert wie ein Raubtier, Sie haben es angeschrien. Dazu hat es Druckstellen am Rücken. Sie pflegen wohl das Sattelzeug nicht richtig? Kein Wunder, dass Beauty keine Lust hatte, zu Ihnen zurückzukehren.“ Ich blickte zu der Stute hinüber, die mittlerweile stehengeblieben war, uns aber im Auge behielt.
Die junge Frau musterte mich überrascht. Der Mann blickte jedoch wütend drein. „Das ist mein Pferd. Ich mache mit meinem Pferd, was ich möchte. Und ich werde es jetzt einfangen.“ Er setzte sich in Bewegung.
„Das wird dauern“, stellte die junge Frau fest. „Sie wird ihn so sicher nicht an ihn heranlassen.“
„Sie haben ein beeindruckendes Gespür für Pferde“, antworte ich ihr. „Wie lange reiten Sie schon?“
„Ich bin früher geritten. Jetzt nicht mehr.“
„Warum nicht? Menschen mit Ihrem Pferdeverstand sind selten.“
„Blödes Mistvieh!“ rief der Mann mit dem Halfter von Weitem. Die Stute hatte sich wieder in Bewegung gesetzt und trabte die Böschung hinauf, an ein paar Kindern vorbei.
„Vielleicht hätten Sie das Pferd doch festhalten sollen“, murmelte ich beunruhigt. „Vielleicht wird er es schlagen. Wer weiß, was das Pferd in Panik alles anrichtet.“
Die junge Frau seufzte. „Vielleicht…“
„Ich bin übrigens Tom“, stellte ich mich vor.
„Sabrina.“ Sie lächelte. „Ich…“

In dem Moment hörten wir Hufgetrappel. Die Stute trabte die Böschung hinunter, zu Sabrina. Sie kam nicht ganz nahe, sondern beäugte mich misstrauisch. Wir blieben ruhig stehen, blickten der Stute nicht direkt in die Augen. Wir wollten sie nicht vertreiben, sondern beruhigen.
„Sie haben wirklich eine Gabe“, stellte ich leise fest.
Sabrina blickte in Richtung des Besitzers, der etwas brüllte und dazu wild mit dem Halfter herumfuchtelte.
Ich lief ihm entgegen. „Sie wird sie aufhalten“, rief ich ihm schon von Weitem zu. „Doch Sie sollten sich beruhigen, bevor Sie sich der Stute nähern.“
Der Mann blieb stehen, völlig außer Atem. Selbst wenn er wollte, hätte er wohl nicht brüllen können. Sabrina setzte sich in Bewegung, schlenderte am Strand entlang, schlug den Pfad ein, auf dem die Stute gekommen ist. Diese folgte gehorsam. Bald sahen wir einen idyllisch gelegenen Reiterhof vor uns. Der Mann trat an die Stute heran und legte ihr das Halfter um. Er war noch immer wütend, aber er beherrschte sich. Ein weiterer Mann trat heran, packt die Stute am Halfter und zog sie mit sich fort.
„Das Mistvieh ist einfach abgehauen“, keuchte der Mann. „Ich wollte sie satteln. Für eine Reitergruppe, die in die Berge wollte.“
„Sie hat Druckspuren“, erwiderte ich noch einmal eindringlich. „Sie sollten ihr eine Pause gönnen.“
„Ich will Ihnen etwas sagen“, fauchte der Mann wütend. „Das ist mein Pferd. Ich habe dafür bezahlt. Es muss mir verdammt noch einmal gehorchen. Und es muss Geld verdienen. Ich führe einen Betrieb. Diese falsche Tierliebe verweichlicht die Pferde nur. Und jetzt verschwinden Sie.“
Kein Dank dafür, dass wir ihm geholfen hatten. Aber damit war zu rechnen. In einiger Entfernung sah ich, wie Beauty einen Sattel auf den Rücken bekam.
Ich wünschte, ich könnte etwas tun. Aber ich wusste nicht, was. Außer mich noch einmal mit dem Pferdemann anzulegen. Sein Standpunkt war mehr als deutlich.
„Kommen Sie.“ Sabrina schlug den Weg zum Strand ein. Ich folgte ihr.
„Es ist eine Schande“, sagte ich.
„Ja.“ Sie nickte.
„Wer Pferde hält, muss Verantwortung übernehmen“, schimpfte ich. „Pferde muss man mit Respekt behandeln – und nicht versuchen, ihnen mit Gewalt den eigenen Willen aufzuzwingen.“
Sabrina sah mich nachdenklich von der Seite an. „Deswegen habe ich aufgehört zu reiten“, sagte sie.
Ich musterte sie verwirrt.
„Früher bin ich auf Turnieren geritten“, erklärte sie. „Ich konnte jedem Pferd meinen Willen aufzwingen.“
Das glaubte ich ihr sofort.
„Ich habe mit den anderen Reitern immer auf die schwierigen, unwilligen Pferde geschimpft, die nicht brav stehen bleiben, die zappeln, die nach anderen Pferden treten, die faul sind und die Beine bei den Hindernissen nicht hoch genug nehmen. Die sich nicht einfangen wollen auf der Wiese. Doch irgendwann habe ich verstanden, was es bedeutet, zu reiten. Wir behandeln unsere Pferde nicht mit Respekt. Stattdessen quälen wir sie zu Bestnoten beim Springen und bei der Dressur. Und nicht nur das. Jeder Freizeitreiter zwingt seinem Pferd den Willen auf.“
„Das muss er“, warf ich ein. „Pferde müssen dem Reiter gehorchen. Und ihm vor allem vertrauen. Sonst sind sie eine Gefahr. Für den Reiter und für andere.“
„Eine Gefahr, die sich leicht bekämpfen würde, wenn das Reiten verboten werden würde.“
„Was?“ Das schien mir sehr radikal zu sein. „Es gibt doch nichts Schöneres, als zu reiten“, fuhr ich fort. „Im Galopp über die Felder. Im Parkurs über Hindernisse.“
„Für den Reiter. Aber nicht für das Pferd.“ Sabrina schüttelte den Kopf. „Das Pferd würde gerne in großen Gruppen mit lauter anderen Pferden frei herumstreifen und nicht fremde Wesen auf seinem Rücken dulden.“
„Auch in der freien Wildbahn muss sich das Pferd dem Leittier unterordnen“, entgegnete ich energisch. „Es hat nie einen freien Willen.“
„Das ist wahr. Genauso viel oder wenig wie ein Mensch“, stimmte sie mir unerwartet zu. „Aber das Leittier steckt dem Pferd kein Stück Metall ins Maul. Es drückt ihm nicht sein Gewicht in den Rücken und lässt es auch keine schweren Lasten ziehen.“
„Leute mit Pferdeverstand achten darauf, dass das Pferd nicht darunter leidet“, warf ich sofort ein.
„Ist das so? Von wem sprechen Sie? Haben Sie nie einem Tier wehgetan? Auch nicht, als Sie mit dem Reiten angefangen haben? Und selbst, wenn Sie das nie getan haben – bewusst getan haben, meine ich – es gibt genug Reiter, die ihre Pferde quälen. Im Pferdesport und als Freizeitreiter, bewusst und unbewusst, mit der Gerte, mit dem Gebiss. Dazu gibt es die, die ihre Pferde den ganzen Tag im Stall lassen. Oder auf einem kleinen Platz, allein, ohne Gesellschaft. Sie alle quälen ihre Tiere.“
„Also … Das sehe ich anders“, erwiderte ich lahm.
Sabrina zuckte die Schultern und schritt voran. Ich ließ mich zurückfallen. Unfug, sagte ich mir. Ich reite gerne, aber ich kümmere mich auch um meine Pferde. Ich bin kein Tierquäler.

Und doch – seit damals verfolgen mich Sabrinas Worte …

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