Harem: westliche Phantasien, östliche Wirklichkeit
In ihrem Buch Harem: Westliche Phantasien – östliche Wirklichkeit beschreibt Fatema Mernissi das Prinzip Harem jenseits von sexuellen Ausschweifungen oder Orgien. Hintergrund: Mernissi ist selbst in einem Harem aufgewachsen. Und für sie bedeutet Harem Familie, hohe Mauern und keinerlei Privatsphäre. Als sie darüber das Buch Der Harem in uns verfasste, stellte sie schnell fest, dass sich besonders viele westliche Männer den Harem als sinnlichen Ort voller Ausschweifungen und Orgien vorstellen. In ihrem neuen Buch geht sie der Frage nach, wie das westliche Bild von dauernackten, passien Haremsdamen entstanden ist, die nichts anderes tun, als auf ihren Herrn und Bebieter zu warten. Denn wer hunderte intelligente Frauen einsperrt und ein bisschen realistisch ist, sollte keinen bedingungslosen Gehorsam erwarten. Während Haremsdamen im Westen oft passiv gezeichnet werden, sicherlich eine Folge der Fantasie vieler Maler aus dem 18. Jshrhundert – fühlten sich viele Herrscher unsicher, wenn sie ihren Harem betraten.
Hunderte intelligente, unzufriedene, eingesperrte Frauen
Die Kalifen und Sultane schätzten gebildete Frauen, die sich mit Astronomie, dem Koran, Mathematik, Musik und vielem mehr auskannten. Da es im Islam verboten ist, Muslime zu versklaven, wurden zumeist Sklavinnen aus den Provinzen gekauft. Diese wurden jahrelang ausgebildet und erst dann dem Kalifen zugeführt. Im Koran ist die Rede davon, dass ein Muslim ein bis vier Frauen heiraten darf – mit der Einschränkung, dass er sie gleich behandeln soll. Dieses Prinzip wird mit den Harems von Harun ar-Raschid und seinen Nachfolgern sowie auch im osmanischen Harem ad absurdum geführt. Bei den Gespielinnen der Herrscher handelte es sich nahezu ausschließlich um gut ausgebildete Sklavinnen. Tatsächlich heirateten die Herrscher auch aus politischen Gründen bis zu vier Pronzessinen. Diese wurden jedoch hauptsächlich keusch erzogen und hatten den zu perfekten Unterhalterinnen ausgebildeten Haremskonkubinen kaum etwas entgegenzusetzen.
Tödliche Eifersucht
Im Harem kam es oft zu Eifersüchteleien unter den Frauen. Zu Zeiten von Harun ar-Raschid musste der Nachfolger nicht mehr zwingend der Sohn von einer der rechtmäßigen Ehefrauen sein. Deswegen bekriegten sich die hochintelligenten Frauen oft mit allen Mitteln, um Mutter des Thronerben zu werden und so eine Sonderstellung innezuhaben. Es kam zu Attentaten und Giftmorden. Das Bild, das Fatima Mernissi vom Harem der Herrscher zeichnet, hat mit dem Harem in westlichen Vorstellungen also relativ wenig zu tun.
Weitere Bücher von Fatima Mernissi
- Der politische Harem
- Der Harem in uns – eine Autobiographie von Fatima Mernissi