Dschihad – heiliger Krieg?

Neben der Stellung der Frau im Islam ist der Dschihad eines der Hauptthemen, das in Europa in Verbindung mit dem Islam am häufigsten diskutiert wird. Oft wird der Dschihad mit “Heiliger Krieg” übersetzt – teilweise wird den Muslimen sogar generell unterstellt, Terroristen zu sein.

“Und tötet sie, wo immer ihr sie findet”

Belegt wird das ganze mit Koranversen wie diesem hier:

„Und wenn nun die heiligen Monate abgelaufen sind, dann tötet die Ungläubigen, wo (immer) ihr sie findet, greift sie, umzingelt sie und lauert ihnen überall auf! Wenn sie sich aber bekehren, das Gebet verrichten und die Almosensteuer geben, dann lasst sie ihres Weges ziehen!“
Dieser als Schwertvers bekannte Vers ist ein Teil des fünften Verses der 9. Sure (Surat at-Tauba) des Korans.
Für diesen Vers gibt es – wie für nahezu jede Stelle in einer heiligen Schrift – die unterschiedlichsten Interpretationen.

Radikale Interpretationen

1. Osama bin Laden

In einer Predigt im Jahr 2003 verkündete Osama bin Laden:
“Gelobt sei Allah, der diesen Schwert-Vers seinem Diener und Boten enthüllt hat, um die Wahrheit herzustellen und die Falschheit zu vernichten.”

2. Ibn Kathir:

“Ihr sollt nicht warten, bis ihr sie findet. Es ist besser, ihr sucht und belagert sie.” Ziel: die Ungläubigen zu unterdrücken, bis sie den islam annehmen oder sterben.

3. As-Suyuti:

Nach as-Suyuti bedeutet der Vers, dass jeder, der die Gebete einstellt, getötet werden und jeder, der sich weigert die Almosensteuer zu geben bekämpft werden kann. Seiner Ansicht nach gehören dazu nicht nur die Heiden, sondern auch Muslime, die ihre Pflichten nicht erfüllen.

Wer sind denn nun die Ungläubigen überhaupt?

Wichtig ist: das Wort, dass zuerst mit “Ungläubige” übersetzt wurde, bedeutet eigentlich “die, die Gott jemanden als gleichgestellt beigesellen” bzw. die, die die Macht Gottes teilen. Ges geht also in erster Linie um Polytheisten. Viele radikale Interpreten machen sich darüber kaum Gedanken und werfen alle Nicht-Muslime bzw. auch gemäßigte Muslime in einen Topf.

Doch für die Christen und Juden gibt es einen anderen Koranvers:

„ Kämpft gegen diejenigen, die nicht an Gott und den jüngsten Tag glauben und nicht verbieten, was Gott und sein Gesandter verboten haben, und nicht der wahren Religion angehören. Was die betrifft, die die Schrift erhalten haben – kämpft gegen sie, bis sie kleinlaut Tribut entrichten!“
Sure 9:29

Unter den Nicht-Muslimen sind also  insbesondere die Polytheisten zu bekämpfen, bis sie den Islam annehmen. Die Christen und Juden aber stehen unter einer Art Schutzvertrag   (Dhimma). Denn als Schriftbesitzer glauben auch sie an den einen Gott – nur eben auf eine etwas andere Art und Weise.
Wenige Jahrzehnte später durften auch andere Religionsgemeinschaften wie zum Beispiel die Hindus einen Dhimma-Vertrag abschließen. Schließlich war es den Herrschern sogar egal, welche Glaubensgemeinschaften im islamischen Reich lebten – solange sie ihre Steuern zahlten. Das änderte sich erst wieder in der Kolonialzeit, als westliche Herrscher und arabische Despoten der Bevölkerung immer mehr ihren Willen aufzwangen.

Gängige Interpretation des Schwertverses

Viele muslimische Gelehrte – besonders in neuerer Zeit –  gehen davon aus, dass der Vers in engem Zusammenhang mit geschichtlichen Begebenheiten zusammenhängt. Der Vers richtet sich insbesondere an den Stamm der Qureisch aus Mekka, der Abmachungen nicht eingehalten hatte. Deswegen rief Mohammed dazu auf, diese besondere Gruppe der Polytheisten zu bekämpfen und zu töten – wenn sie sich nicht zum Islam bekehren. Die überwiegende Mehrheit der Gelehrten interpretiert diesen Vers also nicht direkt und sieht darin keine Aufforderung dazu, dass jeder Muslim auf der Stelle das Schwert in die Hand nehmen und jeden töten soll, der sich nicht zum Islam bekehrt. Der Vers ist nicht allgemeingültig für die Muslime und wieder viel vielschichtiger als vielleicht auf den ersten Blick und aus dem Zusammenhang gerissen erkennbar.

Der Dschihad

Im Zusammenhang mit diesem Vers wird oft der Dschihad gebracht. Dieser wird gerne mit “heiliger Krieg” übersetzt. Doch das greift zu kurz. Dschihad kann folgendermaßen übersetzt werden: „sich so sehr anzustrengen, wie es einem möglich ist“. Von einem Kampf oder Krieg ist also ersteinmal nicht die Rede. Im historischen Kontext wurde der Dschihad jedoch mit der Pflicht aller Muslime gleichgesetzt, die Ungläubigen zu bekämpfen, die die Herrschaft des Islam gefährden. Es gab sogar eine regelrechte Dschihadpflicht – jeder sollte kämpfen, wenn der Islam in Gefahr geriet. Dies wurde jedoch längst nicht immer so gehandhabt – in den Zeiten der Kreuzzüge schlossen arabische Fürsten teils lieber Bündnisse mit den Franken, bevor sie ihren arabischen Konkurrenten auch nur einen fingerbreit Boden überließen. Wie immer ist das Aufstellen der Regeln eine Sache – und die Befolgung eine andere.

In modernerer Zeit – insbesondere bei Mystikern und Asketen – wurde der Dschihad anders interpretiert. Zunehmend wurde zwischen dem sogenannten größeren Dschihad im Sinne eines spirituellen Kampfes gegen innere Gelüste und dem kleineren Dschihad im Sinne einer militärischen Konfrontation gegen einen äußeren Feind unterschieden. Dies lässt sich auch aus einigen hadithen (Berichte über das Leben des Propheten Mohammeds) belegen, der beispielsweise die Fürsorge gegenüber den Eltern als Dschihad bezeichnete. Den Dschihad also mit “Heiliger Krieg” zu übersetzen fasst viel zu kurz.

Wichtig ist eben auch immer, den historischen Kontext zu betrachten. Mohammed ging es darum, seine Religion zu verteidigen und einen Lebensraum für sich und die seinen zu schaffen. Der Koran befasst sich mit der Lebenswirklichkeit der damaligen Zeit und hat entsprechende Gebräuche mit eingeschlossen. Dem absoluten Großteil der Muslime – wie auch dem der meisten Christen – ist an einem friedlichen Zusammenleben gelegen. Und auch dazu finden sich genug Stellen im Koran und in der Sunna. Überdies werden die Suren im Koran mit den Worten “im Namen des barmherzigen Allerbarmers” eingeleitet – und nicht etwa mit dem “strengen Gerechten” oder dem “zornigen Rächer”.  Einem friedlichen Zusammenleben sollte da doch nichts im Wege stehen.

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